Der heilige Hain - oder: Auflösung des Trennenden zwischen Mensch und Natur

on Michael Hahl 


Auf einer "neuen Erde", wie ich sie mir für eine Menschheit mit allmählich höherem Bewusstsein vorstelle, löst sich die Abgrenzung immer mehr auf, die wir zwischen Mensch und Natur derzeit noch leben.

Noch betrachten wir die Natur mit all ihren Wesen als etwas, das verwaltet werden muss, etwa mit Naturschutzgesetzen, die zwischen Schutz und Nutzen vermitteln. Doch was wäre, wenn wir beginnen, die uns umgebende Natur vielmehr als Teil eines Ganzen zu begreifen, dem wir ebenso angehören wie unsere tierischen Mitgeschöpfe, unsere Wälder, Wiesen, Gewässer - wenn wir uns als "Eines" betrachten ...

Der "Kopf", der "Verstand" und die "Wissenschaften", wie wir sie bislang betreiben, sie trennen und grenzen uns - den Menschen - ab gegen die uns umgebende Natur. Das "Herz" jedoch vermag es, uns wieder als Teil des Ganzen wahrzunehmen.

Ich erinnere mich an eine Seminararbeit im Fach Ethnologie. Es ging um "heilige Wälder", um Bäume in irgendeinem Dorf im Himalaya, die seit Generationen als Heiligtum geachtet und gepflegt wurden (werden?), und die - wie nebenbei - auch einen das Dorfleben bewahrenden Erosionsschutz schaffen. Die Ressource wurde traditionell nicht mit - trennenden - Gesetzen gesichert, sondern durch die Anerkennung dieser Bäume als Naturheiligtum.

Der "heilige Hain" also; wir kennen ihn auch aus der germanischen Mythologie und Lebenswelt: "Heilig", im Englischen "holy", ist natürlich nichts Anderes als das Ganze (whole), das All-Eine.

Seit langer Zeit trennen wir in unseren westlichen Kulturen Mensch und Natur. Wir verwalten unsere Umwelt, vielfach mehr schlecht als recht. Nun ist es ja so, dass wir, ohne die Natur für unser Leben zu nutzen, nicht zu leben in der Lage sind. Wir "benötigen" Naturressourcen. Es hilft uns wenig weiter, wenn wir diese Wahrheit in uns selbst verdammen. Wenn wir uns selbst als störendes Element verteufeln, denn das erzeugt letztlich nur noch weitere Trennung zwischen Mensch und Natur. - Nein, wir sind eingebunden in ein Ganzes, wir nutzen, gestalten, verändern, pflegen ...

Entscheidend wird sein, wie wir als Teil der Natur das Gedeihen dieser Gesamtheit im Sinne haben werden bei allem, was wir tun. Nehmen wir uns mit höherem Bewusstsein auf einer "neuen Erde" als Bewahrer der natürlichen Vitalität wahr, auch dadurch, dass wir unsere Umwelt nutzen und gedeihend gestalten, können wir Ausbeutung und Raubbau beenden.

Das klingt zu einfach, zu leicht, zu naiv ... Vielleicht, ja! Immerhin haben wir es hier mit einer der wichtigsten Fragen unserer Entwicklung zu tun: Wie können, wie sollen wir leben? - Auf was es mir jedoch ankommt, das ist ein tiefes inneres Wissen darüber, dass die Trennung von Mensch und Natur in einem neuen Bewusstsein nicht mehr möglich sein wird. Was wir der Erde und all unseren natürlichen Begleitern des planetaren Miteinanders "antun", das tun wir uns selbst an, denn wir sind "eins". Das Eingebundensein in die Natur wird immer mehr unserem Bewusstsein entsprechen. Das Trennende wird aufgehoben.

Dadurch entstehen notwendigerweise neue Wege eines gemeinschaftlichen Seins, in welchem Natur nicht nur Grundrechte und ethischen Selbstwert erhält, sondern - mehr als das - wir Menschen werden uns und die Natur als untrennbar wahrnehmen. Das uns Umgebende wird zu einem allumfassenden Durchdringen und Durchströmen werden. Die Natur pulsiert in uns, und unser Geist, unser Bewusstsein, ja, unsere Liebe durchströmen die Natur. Alles wird zu einem "Wir". Alles wird sich dadurch sukzessive verändern und neu finden.

Also nicht trennende Reglements und Gesetze werden die Ressourcen bewahren, sondern unser neues Bewusstsein, das uns und die Erde integriert, wird zukünftig die Feder führen. Die Wahrnehmung wird sich Stück für Stück verändern, von Zeit zu Zeit wird es auf diesem Weg Bewusstseinssprünge wie Innovationen geben. Individuelle und kollektive Bewusstseinsfelder werden in steter Wechselwirkung dieses "geospirituelle" Wachstum befördern.

Es wird Übergangszeiten geben in dieser Zeit des Wandels. Wir werden Vordenker brauchen und haben, und nicht nur das: Es wird "Vorfühler" geben, Visionäre, Manifestierende, visualisierende Gemeinschaften ... 

Auch unsere Wissenschaften und mit ihnen die Geo- und Umweltwissenschaften werden sich ganz neu ausrichten müssen, wenn sie ihr akademisch starres Trennendes überwinden wollen, um im neuen Bewusstsein überhaupt überleben zu können.
Wir werden eine neue, überaus vitale Lebenswissenschaft entwickeln, die weit über das rein Stoffliche hinaus zu denken und zu fühlen in der Lage sein wird. Akademische Elfenbeintürme werden einstürzen; neues Denken kann daraus erwachsen.

Das "Spirituelle", das Bewusstsein, die Liebe werden Einzug halten in eine neue akademische Disziplin, die wahrhaftig dem lebendigen Geist und dem kooperativen Miteinander dienen kann. Alles wird sich wandeln - auch das wissenschaftliche Weltbild.

Und schließlich wird sich - einhergehend mit der Holistik dieser neuen Wahrnehmung von "Mensch/Natur" - auch der Naturschutz in seinem Wesen verändern, welcher dann nicht mehr auf subtile Weise "trennt", sondern mehr als je zuvor zu etwas werden kann, das wir im Kern am besten beschreiben als: die Liebe zum Leben.


Autor: Michael Hahl M.A., Magister Artium der Geographie - Südlicher Odenwald, 31. Januar 2021

Erstmal veröffentlicht im Telegram-Kanal "Mensch - Natur - Bewusstsein", https://t.me/MenschNaturBewusstsein

 

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