Niko Paech - zwischen Überflussbefreiung und "Ökosozialismus"? Oder: Was braucht es, um eine neue Verbindung mit der Erde zu (emp)finden?
Von Michael Hahl
Zu Gast in Heidelberg war gestern, am 04. Februar 2019, Niko Paech, Buchautor zum Themenfeld Postwachstumsökonomie und Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Uni Siegen. Um weltweit einen nachhaltigen Lebensstil entwickeln zu können und dabei einen deutlich reduzierten C02-Verbrauch pro Kopf zu erreichen, sieht Paech die "Befreiung vom Überfluss" (so einer seiner Buchtitel) als Grundvoraussetzung. Damit einher geht eine Abkopplung wirtschaftlicher Entwicklung von der bisherigen Wachstumsmaxime, also ein Degrowth-Effekt oder eben Postwachstumsökonomie.
Deutlich unterscheidet Paech das so genannte "Grüne Wachstum", das er in seiner Analyse als politische Täuschung und Irrweg entlarvt, vom Konzept des Postwachstums. Zu Letzterem könne jedoch nur ein deutlicher Wandel der Lebensstile führen, bei dem genügsames Leben oder Aspekte der Selbstversorgung, der Tauschwirtschaft und der regionalen Produkte zentrale Bedeutung erhalten, so beispielsweise auch die Reparatur von somit langlebigeren Materialien sowie viele weitere den Überfluss reduzierende Veränderungen. Hinzu müssten neue Technologien kommen.
Als Messwert dieses nachhaltigen Lebensstils dient im Konzept Paechs insbesondere der individuelle CO2-Verbrauch, wie dieser ausführlich an verschiedenen Beispielen erläutert, etwa an den CO2-intensiven Flugreisen, zudem auch - in meinen Augen umfassender und effektiver betrachtet - die Gesamtökobilanz von Produkten.
Die "German Energiewende" sei im Kontext nachhaltiger Lebensstile und hinsichtlich Postwachstum derzeit am Scheitern, so Niko Paech, unter anderem aufgrund ihres ausgeprägten Landschafts- und Naturverbrauchs, und auch hier wegen des ireführenden Versprechens "Grünen Wachstums". Stattdessen schlägt der Ökonom eine "Integrative Energiewende" vor, die "Erneuerbare" explizit nur innerhalb ökologischer Grenzen und auf bereits versiegelten Flächen realisiert, begleitet von Effizienz, Genügsamkeit und Selbstversorgung.
Zwischenfazit und Diskussion - ein Entwurf:
Viele Anregungen und bestimmt noch mehr offene Fragen bleiben im Anschluss an den Vortrag. Lässt Paech etwa die Realität, den Kampf um Ressourcen und materiellen Wohlstand, vielleicht ein wenig außer Acht? Oder andersherum: Sieht er stattdessen wohl gerade die Notwendigkeit, ein anderes Paradigma dagegen zu halten? Also Abkopplung von Wachstumsmaxime und wesentlich veränderte Lebensstile, im Sinne von globaler Verteilungsgerechkeit und nachhaltiger, damit auch ökologischer Entwicklung. Und ebnet sein Konzept womöglich nur den direkten Pfad zur Umsetzung eines "Ökosozialismus"? Wie gedenkt Paech denn überhaupt umzugehen mit den Privilegien weniger im Vergleich zu dann wohl sehr vielen "Überflussbefreiten"? Als Folge womöglich erst recht und noch mehr soziale Ungleichheit innerhalb der Staaten, Eliten einerseits und eine relativ arme Bevölkerung mit nachhaltigen Lebensstilen andererseits? Geht es dann, wenn man eine globale Verteilungsgerechtigkeit weiter denkt, eigentlich noch um "Staaten" oder staatenähnliche Gemeinschaften? Oder spielt dann womöglich bereits die Alternative einer "Neuen Weltordnung" ohne Grenzen und stattdessen mit viel interkultureller Vereinheitlichung stark mit ins Paechsche Konzept mit hinein respektive das eine wird dem anderen notwendigerweise zu Eigen?
Und noch etwas: Welches Maß an materiellem Wohlstand benötigen wir Menschen eigentlich, um tatsächlich genug Möglichkeit - und damit auch Freiheit - für eine nachhaltige Lebensweise entwickeln zu können. Wer eingebunden ist in existenzielle Not, in Beschränkungen des Lebensstils und in unüberwindbare Abhängigkeiten von dem, was gesellschaftlich angeboten wird, hat deutlich weniger Spielraum, um sich bewusst für umwelt- und naturgemäße Lebensweisen entscheiden und danach frei handeln zu können. Unterschätzen wir also das richtige Maß an Wohlhabendsein nicht.
Viele weitere ethische Fragen schließen sich daran an, die beispielsweise auch mit kultureller Vielfalt zu tun haben, eine Diversität also, die wiederum keineswegs notwendigerweise eine interkulturelle Angleichung der Lebensstile als ideale Lebensform erscheinen lässt. Oder wie sieht es aus mit dem, im besten Falle auch Frieden stiftenden Austausch zwischen den Kulturen, den finanziell erschwingliche Flugreisen mehr als alle andere Mobilitätsformen ermöglichen? Wirkt sich eine sozusagen nachhaltige Sesshaftigkeit womöglich kontraproduktiv im Sinne der bisher immer gepriesenen Völkerverständigung aus? - Tja, wie weit wollen wir gehen? Wie wollen wir wirklich leben?
Was den CO2-Verbrauch pro Kopf als "Messlatte" für nachhaltige Lebensstile angeht, muss gründlich hinterfragt werden: Ist diese simplifizierend auf "Treibhausgase" reduzierte Einheit wirklich das Mittel der Wahl? Oder wäre hierbei eben nicht die weitaus mehr Faktoren berücksichtigende Gesamtökobilanz oder das Schmidt-Bleeksche Konzept eines MIPS-Faktors zielführender einzusetzen? Zumal es doch nicht allein um die Emission "klimawirksamer Gase" gehen kann, sondern viel umfassender um das gehen muss, was unter "Naturverbrauch" subsummiert werden kann (Rohstoffe Wasser, Boden, Luft, Minerale usw., weitere Ressourcen wie Landschaft, Naturräume, Flächen usf., natürlich generell auch der Energieaufwand etc.).
Ganz explizit geht es dabei auch um die Bewahrung ökologischer Wechselwirkungen in einer stabilen Mensch-Umwelt-Beziehung, um Lebensräume und Geobiodiversität, und dabei auch um das, was diese Schätze wiederum auf das menschliche Bewusstsein, auf unsere Lebensqualität und Gesundheit rückwirken.
Kurz und gut: Allein um einen, mit dem CO2-Verbrauch einher gehenden "Klimaschutz" im Kontext eines "anthropogenen Treibhauseffekts", wie das in den 1990er Jahren einmal hieß, geht es doch gar nicht. Oder "benötigen" wir vielleicht die Angst und Panik, die mit dem Konzept eines CO2-bedingten "Klimawandels" einher geht, weil wir am Ende nicht vernünftig genug sind, mit den Herausforderungen rund um eine harmonisierte, friedvolle Mensch-Umwelt-Interaktion angemessen umzugehen? Braucht es womöglich genau diese, mit tiefen Angstgefühlen und Schuldvorwürfen belastete "CO2-Religion", die unsere Psychen in die Nische einer tendenziell neurotisch freudlosen Selbstkasteiung treibt, oder wäre eine liebevolle "Herzensverbindung" mit der Erde nicht womöglich ein weitaus gesünderer Weg zu einem ... - nennen wir es: guten Leben?
Also anders gefragt: Was braucht es, um eine neue Verbindung mit der Erde zu (emp)finden?
Ich kann mir nicht helfen, alle diese Fragen sind in meiner inneren Reflexion sehr wohl mit dem Vortrag Paechs verknüpft. Jedenfalls dann, wenn ich tiefer schürfe. Fehlt in der Postwachstumsökonomie vielleicht einfach die Herzlichkeit? Ein etwas kühles akademisches Konzept, das - provokativ gesagt - letztlich Armut als Befreiung vorgeben möchte, um unterm Strich ethisch begründete respektive politisch gesetzte Werte wie Verteilungsgerechtigkeit, "Klimaschutz" und die "Rettung des Planeten" zu generieren? - Aber was braucht es denn wirklich, um zu einer ... - nun sagen wir also Herzensverbindung (ohne Anführungszeichen) mit der Erde zu gelangen, diese (wieder) zu (emp)finden? Um letztlich alle besser miteinander zu leben, sowohl die Menschen untereinander, als auch der in ein neues Bewusstsein planetar eingebundene Mensch in seiner tagtäglichen Beziehung zur Natur, besser: in seinem Eingebundensein in die natürlichen und damit auch geoökologischen Wechselwirkungen.
Ausblick
So oder so, der akademische "Postwachstumsguru" Niko Paech rührt nicht ohne Provokationen an den Kernthemen unserer Zeit ... Womöglich führen seine Wege und die, die ich hier umreiße, zum selben Ziel? Allerdings - Obacht! - nur dann, wenn man gut aufpasst, und dabei auch das subtil heraus schimmernde Risiko im Auge behält, welches durch die Degrowth-Schiene möglicherweise dann erst recht Privilegien, Eliten, ungesunde Herrschaftssysteme und gesellschaftliche Ungleichheit fördern, dann vielleicht auch so gar nicht im Sinne beispielsweise der 99 % einer einstigen Occupy-Bewegung.
Ich denke, hier ist noch manches zu beachten, denn auch die Klimaschutz- und Ökonomie-begründete Ethik des Postwachstums hat ihre kontraproduktiven Widerhaken, die es mit Klugheit und Bewusstheit zu erkennen und zu überwinden gilt.
Viele Anregungen und bestimmt noch mehr offene Fragen bleiben im Anschluss an den Vortrag. Lässt Paech etwa die Realität, den Kampf um Ressourcen und materiellen Wohlstand, vielleicht ein wenig außer Acht? Oder andersherum: Sieht er stattdessen wohl gerade die Notwendigkeit, ein anderes Paradigma dagegen zu halten? Also Abkopplung von Wachstumsmaxime und wesentlich veränderte Lebensstile, im Sinne von globaler Verteilungsgerechkeit und nachhaltiger, damit auch ökologischer Entwicklung. Und ebnet sein Konzept womöglich nur den direkten Pfad zur Umsetzung eines "Ökosozialismus"? Wie gedenkt Paech denn überhaupt umzugehen mit den Privilegien weniger im Vergleich zu dann wohl sehr vielen "Überflussbefreiten"? Als Folge womöglich erst recht und noch mehr soziale Ungleichheit innerhalb der Staaten, Eliten einerseits und eine relativ arme Bevölkerung mit nachhaltigen Lebensstilen andererseits? Geht es dann, wenn man eine globale Verteilungsgerechtigkeit weiter denkt, eigentlich noch um "Staaten" oder staatenähnliche Gemeinschaften? Oder spielt dann womöglich bereits die Alternative einer "Neuen Weltordnung" ohne Grenzen und stattdessen mit viel interkultureller Vereinheitlichung stark mit ins Paechsche Konzept mit hinein respektive das eine wird dem anderen notwendigerweise zu Eigen?
Und noch etwas: Welches Maß an materiellem Wohlstand benötigen wir Menschen eigentlich, um tatsächlich genug Möglichkeit - und damit auch Freiheit - für eine nachhaltige Lebensweise entwickeln zu können. Wer eingebunden ist in existenzielle Not, in Beschränkungen des Lebensstils und in unüberwindbare Abhängigkeiten von dem, was gesellschaftlich angeboten wird, hat deutlich weniger Spielraum, um sich bewusst für umwelt- und naturgemäße Lebensweisen entscheiden und danach frei handeln zu können. Unterschätzen wir also das richtige Maß an Wohlhabendsein nicht.
Viele weitere ethische Fragen schließen sich daran an, die beispielsweise auch mit kultureller Vielfalt zu tun haben, eine Diversität also, die wiederum keineswegs notwendigerweise eine interkulturelle Angleichung der Lebensstile als ideale Lebensform erscheinen lässt. Oder wie sieht es aus mit dem, im besten Falle auch Frieden stiftenden Austausch zwischen den Kulturen, den finanziell erschwingliche Flugreisen mehr als alle andere Mobilitätsformen ermöglichen? Wirkt sich eine sozusagen nachhaltige Sesshaftigkeit womöglich kontraproduktiv im Sinne der bisher immer gepriesenen Völkerverständigung aus? - Tja, wie weit wollen wir gehen? Wie wollen wir wirklich leben?
Was den CO2-Verbrauch pro Kopf als "Messlatte" für nachhaltige Lebensstile angeht, muss gründlich hinterfragt werden: Ist diese simplifizierend auf "Treibhausgase" reduzierte Einheit wirklich das Mittel der Wahl? Oder wäre hierbei eben nicht die weitaus mehr Faktoren berücksichtigende Gesamtökobilanz oder das Schmidt-Bleeksche Konzept eines MIPS-Faktors zielführender einzusetzen? Zumal es doch nicht allein um die Emission "klimawirksamer Gase" gehen kann, sondern viel umfassender um das gehen muss, was unter "Naturverbrauch" subsummiert werden kann (Rohstoffe Wasser, Boden, Luft, Minerale usw., weitere Ressourcen wie Landschaft, Naturräume, Flächen usf., natürlich generell auch der Energieaufwand etc.).
Ganz explizit geht es dabei auch um die Bewahrung ökologischer Wechselwirkungen in einer stabilen Mensch-Umwelt-Beziehung, um Lebensräume und Geobiodiversität, und dabei auch um das, was diese Schätze wiederum auf das menschliche Bewusstsein, auf unsere Lebensqualität und Gesundheit rückwirken.
Kurz und gut: Allein um einen, mit dem CO2-Verbrauch einher gehenden "Klimaschutz" im Kontext eines "anthropogenen Treibhauseffekts", wie das in den 1990er Jahren einmal hieß, geht es doch gar nicht. Oder "benötigen" wir vielleicht die Angst und Panik, die mit dem Konzept eines CO2-bedingten "Klimawandels" einher geht, weil wir am Ende nicht vernünftig genug sind, mit den Herausforderungen rund um eine harmonisierte, friedvolle Mensch-Umwelt-Interaktion angemessen umzugehen? Braucht es womöglich genau diese, mit tiefen Angstgefühlen und Schuldvorwürfen belastete "CO2-Religion", die unsere Psychen in die Nische einer tendenziell neurotisch freudlosen Selbstkasteiung treibt, oder wäre eine liebevolle "Herzensverbindung" mit der Erde nicht womöglich ein weitaus gesünderer Weg zu einem ... - nennen wir es: guten Leben?
Also anders gefragt: Was braucht es, um eine neue Verbindung mit der Erde zu (emp)finden?
Ich kann mir nicht helfen, alle diese Fragen sind in meiner inneren Reflexion sehr wohl mit dem Vortrag Paechs verknüpft. Jedenfalls dann, wenn ich tiefer schürfe. Fehlt in der Postwachstumsökonomie vielleicht einfach die Herzlichkeit? Ein etwas kühles akademisches Konzept, das - provokativ gesagt - letztlich Armut als Befreiung vorgeben möchte, um unterm Strich ethisch begründete respektive politisch gesetzte Werte wie Verteilungsgerechtigkeit, "Klimaschutz" und die "Rettung des Planeten" zu generieren? - Aber was braucht es denn wirklich, um zu einer ... - nun sagen wir also Herzensverbindung (ohne Anführungszeichen) mit der Erde zu gelangen, diese (wieder) zu (emp)finden? Um letztlich alle besser miteinander zu leben, sowohl die Menschen untereinander, als auch der in ein neues Bewusstsein planetar eingebundene Mensch in seiner tagtäglichen Beziehung zur Natur, besser: in seinem Eingebundensein in die natürlichen und damit auch geoökologischen Wechselwirkungen.
Ausblick
So oder so, der akademische "Postwachstumsguru" Niko Paech rührt nicht ohne Provokationen an den Kernthemen unserer Zeit ... Womöglich führen seine Wege und die, die ich hier umreiße, zum selben Ziel? Allerdings - Obacht! - nur dann, wenn man gut aufpasst, und dabei auch das subtil heraus schimmernde Risiko im Auge behält, welches durch die Degrowth-Schiene möglicherweise dann erst recht Privilegien, Eliten, ungesunde Herrschaftssysteme und gesellschaftliche Ungleichheit fördern, dann vielleicht auch so gar nicht im Sinne beispielsweise der 99 % einer einstigen Occupy-Bewegung.
Ich denke, hier ist noch manches zu beachten, denn auch die Klimaschutz- und Ökonomie-begründete Ethik des Postwachstums hat ihre kontraproduktiven Widerhaken, die es mit Klugheit und Bewusstheit zu erkennen und zu überwinden gilt.
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Paech referierte in einem mit drei Generationen angefüllten Hörsaal in der Heidelberger Altstadt. Er kam auf Einladung des Geographen Dr. Richard Leiner und dessen "Verein zur Förderung von Bürgerwissenschaften".
Foto oben: Niko Paech in Heidelberg, Aufnahme: (c) Michael Hahl, 04.02.2019
Weitere Info: Website v. N. Paech - Postwachstumsökonomie
Weitere Info: Website v. N. Paech - Postwachstumsökonomie
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