Dem Bach lauschen ... - Zurück ins "Flussbewusstsein"
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on Michael Hahl
Im bisherigen Denken haben sich Wasserbauingenieure - kulturhistorisch betrachtet - vor allem durch Planungen für Schiffbarmachung, Kanalisierungsmaßnahmen oder Flussbegradigungen hervorgetan. Beim Umgang mit unseren Fließgewässern hat mittlerweile ein Umdenken eingesetzt, doch wir befinden uns scheinbar in einem Stadium der Dissoziation, denn einerseits stehen gegenwärtig oftmals Renaturierungsmaßnahmen an Bächen und Flüssen im Vordergrund, meist verbunden mit Schutz vor Hochwasserdynamik, andererseits aber baut man nach wie vor die Schiffbarkeit weiter aus, wie etwa am Neckar, und stellt dabei den natürlichen Eigenwert intakter Fließgewässerökologie immer noch hinten an.
Nun spreche ich mich keineswegs gegen Sinn und Nutzen des Gütertransports auf unseren Flüssen respektive "Wasserstraßen" aus, doch ich frage mich, ob es nach wie vor zukunftsfähig sein kann, die Flüsse den Schiffen anzupassen statt die Schiffe - und deren Technologie - der natürlichen Fließgewässerökologie.
Zaghaft ist heute von der "Interaktion zwischen Schiff und Wasserstraße" die Rede, aber wäre nicht längst etwa - beispielsweise mit Luftkissentechnik - die Option realisierbar, den Tiefgang von Güterschiffen deutlich zu reduzieren, um die Flusssohlenbelastung und dadurch das Ausmaß der wasserbaulichen Eingriffe und Kanalisierungen drastisch zu minimieren?
Haben wir es nicht grundsätzlich mit der ethischen Fragestellung zu tun, mit welchem "Bewusstsein" wir an unsere zivilisatorischen Herausforderungen - wie Binnenschifffahrt versus Fließgewässerschutz - herangehen möchten? Anders gefragt: Stellen wir uns mit einem naturnahen "Flussbewusstsein" oder einem naturfremden "Umbaubewusstsein" diesen Aufgaben? Es geht dabei keineswegs um eine Abwertung technologischer Leistung, sondern - im Gegenteil - um die Integration unserer Technologien in die geoökologische Vitalität.
Zurück zum eingangs erwähnten Wasserbauingenieur. Wir standen an einem Waldbach, der munter vor sich hin plätscherte und sich in lebendigem Strömen seinen Lauf über die steinige Bachsohle und an den von Erlen besetzten Ufern entlang gestaltete. Ja, ein naturbelassener Bach gestaltet sich selbst seinen dynamischen Lauf und bildet dabei eine Vielzahl heterogener, kleinstrukturierter Nischen und Lebensräume, als wollte das fließende Wasser spielerisch seine Umgebung umgestalten und bereichern ...
Unser "spiritueller Wasserbauingenieur" erzählte mir davon, wie er einmal vor der Entscheidung stand, auf welche Weise man am Bach, der sich seinen wilden Lauf durch den Wald bahnte, optimal einen Übergang für forstlichen Betrieb ermöglichen könne. Da der Ingenieur unsicher war, welcher "Weg" wohl der beste sei, um sowohl Funktionalität für die menschliche Nutzung als auch Fließgewässerökologie angemessen zu berücksichtigen, entschloss er sich, zu dieser Frage dem Bach selbst zu lauschen ...
Dabei kam unser Mann offenbar durch innere Eingebung zur Erkenntnis, dass an dieser stillen Stelle des Waldbachlaufs der Bau einer Brücke ein allzu intensiver Eingriff wäre. Immerhin stellt jede kleine Brücke auch ein Querbauwerk dar, einhergehend mit Laufverengung, Verdolung, nicht zuletzt chemischen Belastungen durch Beton usw. Das "innere Gespräch" mit dem Bach selbst führte unseren spirituellen Wasserbauingenieur nun zu einer anderen Lösung: eine Furt.
Lediglich eine Verflachung und Verbreiterung der steinigen Bachsohle war erforderlich, um mit den überwiegend geländegängigen Fahrzeugen des Forstbetriebs den Waldbach passieren zu können.
Eine Furt würde sich weitaus intakter in die natürliche Fließgewässerökologie einfügen als die massive Querverbauung einer Betonbrücke. Gefühlt, gesagt, getan ...
Diese kleine Geschichte erlebte ich vor zwanzig Jahren, und erstaunlicherweise bringt sie noch heute etwas zum Klingen in mir. Denn hier wurde etwas Grundsätzliches vermittelt. Das Ausmaß der Unterscheidung zwischen Betonbrücke und Furt an einem Waldbächlein mag angesichts globaler Entscheidungsfragen unbedeutend sein. Doch hinter dieser Erfahrung liegt ein Gleichnis, das uns aufhorchen lässt: Folgen wir mit unserer inneren Aufmerksamkeit dem naturnahen "Flussbewusstsein" oder dem naturfremden "Umbaubewusstsein"?
Wie wollen, wie können wir leben? Verbinden wir uns bei derlei Entscheidungen mit dem Bewusstsein unserer uns umgebenden Natur? Fragen wir sie selbst und handeln wir gewissermaßen in Einklang mit Gaia, dem Bewusstsein der Erde? Stimmen wir uns mit unseren Technologien, Bauwerken, Stoffkreisläufen usw. dem Erdbewusstsein so harmonisch wie möglich ein? Oder wollen wir uns weiter von diesem trennen und uns selbstüberheblich hervortun? Pflegen wir - als lichtvolle Schöpferwesen - sehr bewusst unsere Erde, verbinden Nutzen mit Schutz und Gedeihen, oder machen wir sie uns "untertan"?
Ich weiß sehr wohl - als Geograph und bodenständig denkender Mensch -, dass wir ohne Eingriffe in die Ressourcen, die uns die Erde ermöglicht, nicht leben können. Ich meine jedoch, dass alle Fragen der so genannten "Nachhaltigkeit" und "Tragfähigkeit" letztlich nur durch unser Bewusstsein lösbar sein werden. Eine wahrhaftige Transformation wird nicht durch Maßnahmen wie "CO2-Besteuerung" und andere Mechanismen individueller Begrenzungen der Massen erfolgen, sondern auf dem Weg des Bewusstseins, mit dem wir uns als Menschheit in ein Erdbewusstsein einfügen können.
Es beginnt in uns. Erst wenn wir selbst wieder in den natürlichen Fluss des Lebens, der Vitalität und der Liebe gelangen, werden wir die Mensch-Umwelt-Interaktion neu denken und fühlen. Die Vorzeichen unseres Handelns werden sich hierdurch verändern. Wir kommen zurück in unser "Flussbewusstsein" ...
Autor: Michael Hahl M.A., Magister Artium der Geographie - Südlicher Odenwald, 13. Februar 2021
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veröffentlicht im Telegram-Kanal "Mensch - Natur - Bewusstsein", https://t.me/MenschNaturBewusstsein
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